Neues Einzelhandelszentrum in Wiesbaden wird zum architektonischen Blickfang

Lilien-Carré: Ziegelfassaden als Charakter-Darsteller

In unmittelbarer Nachbarschaft zum historischen Wiesbadener Hauptbahnhof entsteht zurzeit eines der modernsten Einzelhandelszentren Deutschlands. Das „Lilien-Carré Wiesbaden“ ist ein futuristisch anmutender Gebäudekomplex, der sich trotz seiner auffälligen Architektur sanft in das Bild der benachbarten und traditionell geprägten Wohn- und Geschäftshäuser einfügt. Hauptcharakteristika sind eine weithin sichtbare Metall-Kuppel sowie rote Ziegelstein-Fassaden.

 

Das „Lilien-Carré“ schließt eine städtebauliche Lücke, die durch den Abriss der ehemaligen Hauptpost (Ende 2002, Anfang 2003) entstanden ist. Das neue Zentrum wird von angrenzenden Wohnquartieren und den historischen Bauten am Kaiser-Friedrich-Ring flankiert. Bei der Planung war deshalb besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Das neue Stadtquartier musste gefühlvoll auf die Umgebung abgestimmt werden. „Uns war es wichtig, den Charakter des Viertels mit eigenständigen Häusern zu erhalten“, erklärt Roland Duda, verantwortlicher Architekt von Ortner & Ortner Baukunst, Berlin. Gleichzeitig sollte die steinerne Architektur der unmittelbaren Umgebung aufgenommen werden. So kamen Ziegelsteine und Natursteine ins Spiel. Aber auch die Schieferdächer, die sich auf den angrenzenden Landeshäusern und Kirchen wieder finden, wurden durch den Einsatz moderner Materialien (anthrazitfarbener Zink) kunstvoll nachgeahmt.

 

Zentrum und Blickfang des „Lilien-Carré Wiesbaden“ ist ein ovaler Kuppelbau, in dem sich ein zweigeschossiges Einkaufszentrum mit einer rund 26.000 Quadratmetern großen Einkaufs- und Gastronomiefläche befindet. Umgeben wird er von einem Hotel (6.000 Quadratmeter), einem Bürogebäude (4.000 Quadratmeter) und einer kleinen Technikzentrale. Im angrenzenden Parkhaus sind circa 400 Stellplätze vorhanden, in der Tiefgarage rund 800. Alle Gebäude rund um die Kuppel werden in erster Linie mit roten Ziegelsteinfassaden versehen. Die Suche nach dem richtigen Material war dabei nicht leicht. Die Wahl fiel schließlich auf einen Stein der Egernsunder Ziegelei, Dänemark. „Dort wurde in Zusammenarbeit mit den Architekten und Bauherren eine Sonderanfertigung erstellt“, erinnert sich Sven Böhrer, Inhaber der FaBö GmbH, Fachwelt für Steinfassaden und Böden aus Walldürn. Sein Handels-Unternehmen war im Auftrag des Generalunternehmers, einer Arge aus der Wolff & Müller GmbH & Co. KG, Stuttgart, und der BAM Deutschland AG tätig geworden ist.

 

Entstanden ist ein Wasserstrichziegel im deutschen Dünnformat (240 x 115 x 52). „Die Farbe nennen wir rosédunkel“, erklärt Böhrer. Sie taucht in der Umgebung vor allem an den umliegenden Wohn- und Geschäftshäusern auf. Auffällig ist aber vor allem die Ausbildung des Ziegels mit einer so genannten Klatschkante. Der Wulst entsteht, wenn der Stein durch die Presse geschickt wird. Normalerweise wird er anschließend entfernt. Doch nicht so für das Projekt in Wiesbaden. Hier wurde der Verarbeitungszustand auf ausdrücklichen Wunsch der Architekten beibehalten – wegen der stärkeren Optik. „Wir wollten einen Stein mit eigener Struktur“, erklärt Architekt Roland Duda. „Das war uns wichtig.“

 

Zweite Besonderheit ist die Verwendung von Fertigelementen. Vor allem am Parkhaus kamen fast ausschließlich vorproduzierte Elemente der Firma Klinker- und Betonfertigteile GmbH Nagel aus Bergheim zum Einsatz. Die FaBö GmbH lieferte die Ziegel nach Bergheim, wo sie in Beton-Fertigteile eingefügt wurden. Nach Ansicht von Ivo Schwierzina, 1. Bauleiter am „Lilien-Carré, war diese Lösung geradezu ideal für die schmale und gleichzeitig sehr hohe Schlitzarchitektur des Parkhauses. Außerdem wurden die Fertigelemente zur Verkleidung der Stürze eingesetzt. Der Gesamtumfang der Ziegelfassaden beläuft sich nach Fertigstellung auf rund 9000 Quadratmeter und damit ungefähr auf die Hälfte der gesamten sichtbaren Flächen. Die Arbeiten sollen im Herbst abgeschlossen sein.

 

Der Übergang zwischen den verschiedenen Baustoffen ist fließend. Die Ziegelfassaden sitzen zum Teil auf einem geschosshohen Sockel aus Naturstein. Dadurch wird die Verbindung zu den historischen Gebäuden der Umgebung herstellt.

 

An der Schnittstelle zwischen Innenstadt und angrenzender Wohnbebauung konntedamit beispielhaft bewiesen werden, dass sich große Einkaufszentren auch in Städten realisieren lassen. In den 80er und 90er Jahren wurden derartige Gedankenspiele noch weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Shopping-Zentren wurden bevorzugt auf der grünen Wiese angesiedelt – mit allen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Innenstädte. Inzwischen ist jedoch eine Trendumkehr zu beobachten. Die Einkaufszentren wandern in die Städte zurück. „Die Stadt ist Erlebnis“, erklärt Roland Duda. Eine Mischung aus Shopping-Angeboten, Gastronomie und Atmosphäre. Angestoßen wurde die Entwicklung vor allem durch die frei gewordenen Innenstadtflächen aus dem früheren Bestand der Bahn und Post. Dadurch wurden neue Ideen entwickelt, neue Nutzer angelockt.

 

Das Konzept des „Lilien-Carré Wiesbaden“ stammt von dem niederländischen Architekturbüro T+T Design (Gouda). Die Detailplanung entstand in einer Arge aus den Architekturbüros Ortner & Ortner Baukunst, Berlin und Kramm & Strigl, Darmstadt. Haupteigentümer des „Lilien-Carré“ ist ein irischer Privatinvestor. Bereits im Herbst 2006 wurden große Anteile der Projektgesellschaft an Donal O`Mahony verkauft. Betrieben wird das „Lilien-Carré“ von der Multi Development Germany GmbH mit Sitz in Duisburg. Der erste Spatenstich erfolgte am 7. September 2004, Richtfest wurde am 1. Juni 2006 gefeiert. Die neue Shopping-Mall wurde am 22. März 2007 eröffnet, mit der Fertigstellung der Büro- und Hotelgebäude wird noch im Herbst gerechnet. Das Investitionsvolumen soll sich auf rund 140 Millionen Euro belaufen.

 

Der Einsatz des Baustoffs Ziegel an einem der modernsten Einkaufszentren Deutschland beweist nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie den nach wie vor exzellenten Ruf, den Ziegel bei führenden Architekturbüros und Baugesellschaften genießen. „Der Ziegel hat nichts von seiner Attraktivität eingebüßt“, erklärt Martin Roth, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Gründe für diese Entwicklung sind dabei nicht nur architektonische Überlegungen, sondern auch die Vorteile einer natürlichen Wärme- und Kältedämmung. „Projekte wie das Lilien-Carré in Wiesbaden zeigen uns, dass nachhaltige Baumaterialien eindeutig im Trend liegen“, sagt Martin Roth.

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