Auferstanden aus Ruinen

Quartier 1 am Dresdner Neumarkt

Die Rekonstruktion historischer Bauwerke und Stadtensembles ist in Deutschland stets umstritten. Was für die einen „ein architektonisches Disneyland“ ist, ist für die anderen die Wiederherstellung bzw. Bewahrung der kulturellen Seele. So auch im Falle Dresden. Nach den Bombennächten 1945 war von einer der schönsten Städte der Welt nur eine Ruinenlandschaft geblieben, und anstelle eines Wiederaufbaus wurde aus der Innenstadt rund um den Neumarkt nur ein Riesenparkplatz. Die Wiedererrichtung der Dresdner Frauenkirche stellte die Weichen neu: mit historischen Fassaden im Spannungsfeld moderner Architektur und modernen Tondachziegeln im historischen Design.

Zuviel oder zuwenig Historie?

Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche war nur der erste Schritt. Der zweite: die Wiederherstellung der Altstadt am Neumarkt rund um die Frauenkirche. Ein in jeder Hinsicht gewaltiges Projekt – und eine architektonische Drahtseilwanderung zwischen dem Wunsch der Denkmalschützer nach vollständiger Rekonstruktion, der Stadtplaner nach Wiederherstellung des urbanen Umfelds der Frauenkirche auf den gewachsenen Straßenfluchten, der Investoren nach einem vernünftigen Kosten-/Nutzenverhältnis und der Nutzer nach einem Wohnstandard der Gegenwart. Acht „Quartiere“ waren wiederzuerrichten. Das sensibelste, weil unmittelbar der Frauenkirche benachbarte Quartier ist das Quartier 1, auch QF (Quartier an der Frauenkirche) genannt, ein Ensemble von ehemals 20 Einzelparzellen, heute 14 Gebäuden, das vom Neumarkt, der Frauenkirche, der Töpfergasse und der Augustusstraße eingerahmt wird.

Leitbauten mit Creaton-Dach

Für die Planung zeichnete das Architekturbüro von Döring verantwortlich. Und es löste die Historismus-Kontroverse mit einem eleganten Kompromiss nach dem Vorbild des Leitbautenprinzips, das seit Ende der 80er Jahre in der DDR-Architektur die organische Verbindung von Altem und Neuem sichern sollte. An den optisch sensiblen Bereichen, vor allem an der Front zum Neumarkt und dem Kopfbau an der Sichtachse, die der Fürstenzug bildet, stellen vier Leitbauten mit dem Weigelschen Haus in der Mitte das historische Fassadenbild wieder her. Es liegt in der Natur der Sache, dass eben diese Fronten auch fotografisch am besten dokumentiert sind. Diese historischen Fassaden wurden in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege detailgetreu als Mauerwerkskonstruktion wiedererrichtet. An weniger sensiblen Stellen oder da, wo die ursprüngliche Bebauung entweder schlecht dokumentiert oder von architektonisch geringerem Wert war – vor allem entlang der Töpfergasse – akzentuiert Gegenwartsarchitektur das Bild. So gelang ein Ensemble aus einem Guss, das aber aussieht wie in Jahrhunderten gewachsen. Im Wechsel von denkmalgeschützten Fassaden und moderner Formensprache, von Dächern mit traditionellen sächsischen „Kera-Bibern“ und modern designten „Domino“-Glattziegeln von Creaton bis zu Flachdächern auf Glasstufengiebeln. Ein gelungener, scheinbar kleinteiliger Kontrapunkt zum Koloss der Frauenkirche.

„Kera-Biber“: Top-Produkt für Top-Architektur

Die bürgerliche Stadtarchitektur im Stil des Dresdner Barock war gekennzeichnet durch eine im Schnitt fünfgeschossige Bebauung mit einem ein- bis zweigeschossigen Mansarddach mit Dachgauben. Das traditionelle Bedachungsmaterial war der sächsische Biber im Segmentschnitt mit drei Rillen. Auf der Suche nach einem Modell, das den historischen Ziegeln am nächsten kam, stieß Architekt Kai von Döring auf den „Kera-Biber“ von Creaton, einen Premiumziegel, der nach wie vor in einem sächsischen Tondachziegelwerk in Guttau hergestellt wird.

Wie alle „Kera“-Produkte aus Guttau sind auch die „Kera-Biber“ durchgefärbt, also auch optisch robust. Die Schnittkanten sehen nicht anders aus als die Oberfläche, und selbst eine mechanische Beschädigung würde das Farbbild nicht verändern. Doch gegen mechanische Beschädigungen schützt den Ziegel ohnehin zusätzlich der „Hochbrandfaktor“, also der Brand im Sinterverfahren bei Temperaturen bis 1.120° C ohne zusätzliche Brennhilfsmittel, der das Produkt besonders hart und widerstandsfähig macht.

Für die besondere Qualität der „Kera-Biber“ sorgen darüber hinaus zum einen das besonders reine Tonvorkommen in der Oberlausitz, aus dem Creaton seinen Rohstoff bezieht, zum anderen das Herstellverfahren, bei dem ein besonders feines staubtrockenes Tonmehl nach exakt gesteuerter Anfeuchtung zu einer homogenen Tonmasse wird – Basis einer fast feinkeramischen Qualität. Dadurch hat auch Feuchtigkeit keine Chance mehr, in die Oberfläche der Ziegel einzudringen, so dass keine Risse durch Wasser entstehen, das sich – erst einmal eingedrungen – bei Frost ausdehnt. Auch Algen- und Moosbefall können gar nicht erst entstehen. Eventuelle Schmutzablagerungen werden ganz einfach mit dem nächsten Regenschauer weggewaschen.

Es gibt sie wieder, die schönen alten Dächer

Was vollständige Rekonstruktionen historischer Bauten bei aller Detailgenauigkeit häufig unecht aussehen lässt, ist das Fehlen der historischen Patina. Echte historische Dächer leben vom Wechsel der Farbnuancen, wie er einst für die handwerklichen Zieglertechniken typisch war. Heute steckt hinter den lebendig geflammten Biberdächern der Neumarkt-Leitbauten, zum Beispiel des „Goldenen Rings“ am Eck Neumarkt/An der Frauenkirche, mit ihren reizvollen, rotbunt nuancierten Musterungen moderne Tondachziegel-High-tech. Die gewollt unregelmäßige, natürlich wirkende Farbnuancierung „rotbunt geflammt“ mit ihrem historischen Charakter entsteht durch ein speziell entwickeltes Brennverfahren. So gibt es den „Kera-Biber“ in zahlreichen Farben und Oberflächenvarianten. Kupferrot ist das Dach des Hotels Stadt Berlin, andere Dächer sind in Mangan oder Braun gehalten. „Feuer und Flamme“ für die „Kera-Biber“ waren jedenfalls die beauftragten Dachdeckerunternehmen aus Dresden, die Fa. „Mattheus, Dachdecker, Dachklempner, Hausschornsteinkopfbau Dresden-Ost GmbH“, die die Leitbauten am Neumarkt, an der Frauenkirche und an der Augustusstraße eindeckte, und die „Schelzel – Bedachungs-GmbH“, die die Häuser Töpfergasse 1 – 4 ausführte.

„Domino”-Effekt „Form follows function!”

Ein Kontrastprogramm zur barocken Formensprache der Schaufront zum Neumarkt bieten die schlichteren Häuser der Töpfergasse in zeitgenössischer Architektursprache. Dieser Gegensatz zieht sich bis zum Dach und bis zur Wahl des Ziegels durch. Hier fiel die Wahl auf den Glattziegel „Domino“  in der Ausführung „Nuance“ grau engobiert, der sich durch die schlichte, schnörkellose Eleganz seiner geradlinigen, auf das Wesentliche reduzierten Form auszeichnet. Neben seiner Design-Qualität, von der Dachterrasse aus auch für die Bewohner erlebbar, tritt die technische Qualität: Aufgrund seiner hervorragenden Wasserführung und eines außergewöhnlichen Cw-Wertes kann dieser zur Zeit in seiner Form schlichteste und geradlinigste Glattziegel schon ab einer Dachneigung von 25° verlegt werden.

Neue Urbanität

Die Befürchtung mancher Kritiker des Projekts, der Wiederaufbau der Quartiere um die Frauenkirche lasse ein Freilichtmuseum für Touristen entstehen, hat die Entwicklung seit der Einweihung 2006 überholt. Das Gegenteil ist eingetreten. Allein im Quartier 1 sorgen rund 50 Geschäfte, Restaurants und Bars, daneben viele Büroflächen und nicht zuletzt 27 Wohnungen für urbanes Leben. Wenn alle acht Quartiere wiederhergestellt sein werden, dürfte die „Urbanität“ wieder das Maß erreichen, wie es vor dem Krieg und der Zerstörung 1945 auch gewesen war.

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