Der Einsturz des Historischen Stadtarchivs von Köln

The spectacular collapse of Cologne's Historical City Archives on 3.3.2009 met with great consternation among experts worldwide as it had been one of the largest and most important collections of archives.

Der spektakuläre  Einsturz des Historischen Stadtarchivs in der Severinstraße von Köln am 3. März 2009 löste in Fachkreisen weltweit große Bestürzung aus. Handelt es sich doch um eine der größten und bedeutendsten Archivsammlungen. 

Auf mehr als 26 Regalkilometern lagerten hier etwa 65 000 Pergamenturkunden. Es sind Handschriften mit kaiserlichen Siegeln – die älteste stammt von Heinrich IV. aus dem Jahre 1106 –, Amtsbücher, Ratsprotokolle so-wie Handschriften aus den Bereichen Literatur, Musik, Recht und Theologie wie z. B. ein Evangeliar des Stifts St. Pantaleon aus dem Jahre 993 und die Handschriften des mittelalterlichen Universalgelehrten Albertus Mag-nus aus dem 13. Jahrhundert. Hinzu kommen historische Karten, Plakate, Fotos und 780 Nachlässe von berühmten Komponisten, Architekten, Literaten und Politikern.

Wie viele der Archivalien nach dem Gebäudeeinsturz für immer verloren sind, steht noch nicht fest. Man rechnet damit, dass die Restaurierung der geretteten Dokumente einen Zeitraum von etwa 30 Jahren in Anspruch nehmen wird.

Die Ursache für den Einsturz lag nicht am Gebäude, sondern im Untergrund und im U-Bahn-Bau in der Seve-rinstraße. Auf die endgültigen Ergebnisse der Ursachenforschung wird man wohl noch etwas warten müssen, doch gilt als wahrscheinlich, dass es durch das Abpumpen des Grundwassers in der 28 m tiefen U-Bahn-Baugrube zu einem Erdrutsch des Kies-Sand-Bodens unter dem Stadtarchiv kam, dem so der stabile Untergrund genommen wurde, sodass das Gebäude nach vorn und unten kippte. 

Bautechnisch und für Ziegler von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass es sich bei diesem Archivgebäude um einen beispielhaften Ziegelbau handelte, was man ihm äußerlich allerdings nicht ansah. Durch die Verwendung von Ziegeln konnte hier das „Konzept der natürlichen Magazinlagerung“ verwirklicht werden, ohne auf  Klimaanlagen angewiesen zu sein.

Vor dem Bau des Stadtarchivs im Jahre 1971 lagerten die wertvollen Dokumente rund 400 Jahre lang im Alten Rathausturm der Stadt hinter dicken Ziegelmauern, offensichtlich optimal geschützt vor jeglichen Witterungs- und Klimaeinflüssen. Für den Architekten ergab sich hieraus die logische Konsequenz, auch im Neubau die gleichen Voraussetzungen zu schaffen, wie sie der alte Turm geboten hatte. So entstand das „System der natürlichen Magazinlagerung“, nach dem das Kölner Stadtarchiv gebaut wurde – mit Ziegeln. Das sechsgeschossige Magazin erhielt ein starkes Mauerwerk aus Vollziegeln. Oberirdisch bildete eine zwei Steine starke, d. h., 49 cm dicke Mauer die erste Gebäudehülle, unterirdisch wurde vor die Betonverschalung eine 24-cm-Ziegelwand gezogen. Vor das obere Ziegelmauerwerk wurde im Abstand von 7 cm eine Fassade aus Granitplatten angebracht, die zunächst das direkte Wetter, wie Sonne, Regen, Wind usw., von der Mauer abhielt. Die Luftschicht zwischen den beiden Gebäudehüllen isolierte und entlastete die Wand, die ihrerseits mit 49 cm Stärke für eine relativ konstante, aber natürliche Raumtemperatur im Inneren sorgte.

Ziegel sind bekannt gute Temperaturspeicher und reagieren entsprechend langsam auf Temperaturwech-sel. Plötzliche Kälteeinbrüche oder extrem schnelle Hitzeeinfälle werden innerhalb der Ziegelmauern nicht wahr-genommen. Die Schwankungen der Raumtemperaturen bewegten sich in der Regel im Bereich von ein bis zwei Grad. Auch ein wechselnder Feuchtigkeitsgehalt der Luft machte sich kaum oder gar nicht bemerkbar: Ein besonders wichtiger Faktor, wenn man bedenkt, dass gerade Pergament und  Papier äußerst empfindlich auf Nässe reagieren. Durch die spezielle Ziegelbauweise wurden in den Archivräumen immer nahezu Idealwerte von 15 bis 18  °C Raumtemperatur und 50 bis 60  % relative Luftfeuchtigkeit gehalten.

So garantierten die Ziegelwände geringe Klima-schwankungen und lieferten gleichzeitig ein absolut  natürliches Raumklima – kontrolliert, ohne die Nachteile des künstlich gesteuerten Klimas. Doch gegen den von Menschenhand ausgelösten Erdrutsch konnten auch die Ziegelwände nichts ausrichten.

Viele europäische Bauten, die zur Aufbewahrung von Originaldokumenten dienen, haben das Kölner „System der natürlichen Magazinklimatisierung“ übernom-
men, so das Reichsarchiv in Zwollen, das „Algemeen Rijksarchief“ in Den Haag und die Staatsarchive in Zürich und Wien.

Von einem kleineren Teil der Kölner Bestände, etwa 1,2 Millionen Seiten, darunter die Krönungsurkunde Ottos des Großen und die Baupläne des Kölner Doms, gibt es Sicherungskopien. Sie befinden sich als Mikrofilme in Stahlbehältern in einem alten Erzstollen in Oberried bei Freiburg. Hier wird seit 1975 der mikroverfilmte Nachlass der deutschen Nation gelagert. 1500 Jahre sollen die Mikrofilme hier überdauern, dann zerfallen sie. Trübe Aussichten für die Archäologen der Zukunft. Bezüglich der Haltbarkeit ist dies kein Fortschritt, wenn man bedenkt, dass sich die um 3500 v. Chr. von den Sumerern entwickelte älteste Schrift, die Keilschrift, auf gebrannten Tontafeln bis heute erhalten hat. In der Liste der Haltbarkeit von Datenträgern führen die unverrottbaren Tontafeln vor allen anderen. So zeigen sich auch hier, wie bei den Baustoffen, die unvergleichlichen Vorteile des gebrannten Tons.
Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs wird die Medien noch lange beschäftigen. Sicher dürfte sein, dass bei dem nun notwendig gewordenen Archivneubau der Ziegel wieder eine bedeutsame Rolle spielen wird.

– Willi Bender –

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