Kinderarbeit in der Ziegelindustrie
Laut Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiteten im Jahr 2024 etwa 54 Millionen Kinder weltweit unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Darunter fällt unter anderem die Tätigkeit von Kindern in der Ziegelindustrie. [i] Der Fotograf Luca Catalano Gonzaga hat in den letzten 17 Jahren im Rahmen einer Langzeitreportage Fotos in Ziegeleibetrieben in Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal und Afghanistan gemacht. Seine Bilder dokumentieren die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Erwachsenen und Kindern vor Ort.[ii]
Die Ziegelproduktion in Südasien
Wie in Europa hat die Ziegelproduktion in Südasien eine lange Tradition. Bereits in der Indus-Tal-Kultur, etwa 3200-1300 v. Chr. wurden im Nordwesten des indischen Subkontinents gebrannte Ziegel verwendet.[iii] Bis heute ist der Baustoff für verschiedenste Gebäude sehr beliebt. In den kommenden Jahrzehnten wird ein rasantes Stadtwachstum und damit ein gesteigerter Bedarf an Ziegeln in der Region erwartet.[iv]
Im Gegensatz zur Produktion in hochtechnisierten Industrieanlagen in Deutschland, werden die Ziegel in Südasien hauptsächlich in Handarbeit hergestellt.[v] Die harte Arbeit ohne ausreichend Sicherheitsvorkehrungen kann zu schweren gesundheitlichen Folgen für die Beschäftigten führen. Die Arbeitsprozesse der Ziegelherstellung umfassen das Mischen des Lehms, das Formen der einzelnen Ziegel mit Hilfe von Holzrahmen, das Trocknen der Ziegel und den Transport der getrockneten Ziegel zum Brennofen. Die Ziegel werden dann in Feldbrandöfen geschichtet und gebrannt. Nach dem Brennen werden sie auf Lastwagen zum Weitertransport zu den Baufirmen verladen. Aufgrund der witterungsbedingten Produktion können die Ziegeleien nur in den Trockenmonaten betrieben werden, die in Indien und Nepal von etwa November bis Juni geht. [vi]
Migration und Schuldknechtschaft
Aufgrund der saisonalen Arbeit ist die Ziegelindustrie Südasiens stark durch interregionale und internationale Migration gekennzeichnet.[vii] Die Arbeitenden kommen nur für die Produktionsmonate mit ihren Familien in die Ziegeleiregionen. In den übrigen Monaten verdienen sie ihren Lebensunterhalt meist als Tagelöhner:innen in der Landwirtschaft. Damit gehören sie zur ärmsten ländlichen Bevölkerungsschicht.[viii] Oft sind sie weder in ihrer Herkunftsregion noch in der Ziegeleiregion registriert. Sie werden daher nicht für Sozialleistungen berücksichtigt.[ix]
Die saisonale Arbeit bedingt eine ebenso saisonale Bezahlung in der Ziegelproduktion. Da die Familien auch in den übrigen Monaten auf Lohn angewiesen sind, ist ein System der Vorschusszahlung entstanden. Arbeitsvermittelnde geben den Arbeitenden Kredite und diese verpflichten sich im Gegenzug in der darauffolgenden Saison ihre Schulden auf den Ziegeleien abzuarbeiten.[x] Viele der Arbeitenden können weder richtig lesen noch schreiben und müssen bei der Vertragsunterzeichnung auf die Ehrlichkeit der Arbeitsvermittelnden vertrauen. Oft sind die Vorauszahlungen durch Arbeit kaum zu begleichen, es entsteht eine sogenannte Schuldknechtschaft, die sehr unterschiedliche Ausmaße annehmen kann. Schuldknechtschaft ist eine Form der modernen Sklaverei.[xi]
In einigen Regionen Indiens war Schuldknechtschaft lange eine normale wirtschaftliche Praxis in der Landwirtschaft. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1946 gab es Bestrebungen dies zu ändern. Jedoch ist sie bis heute alltäglich und hat sich seit den 1990er Jahren zunehmend auf den Bausektor verlagert.[xii] Aufgrund der langen Tradition wird die Praxis vor Ort jedoch kaum in Frage gestellt.[xiii] Die Zwischenschaltung von Arbeitsvermittlungen und Subvermittlungen erschwert es außerdem unzulässige Schuldknechtschaft nachzuweisen.[xiv]
Schätzungsweise leben weltweit etwa 30 Millionen Menschen in modernen Formen der Sklaverei oder Schuldknechtschaft. Offiziell ist dies verboten, der politische Wille zur Bekämpfung scheint aber nicht vorhanden.[xv] Obwohl Sklaverei im westlichen Kontext wissenschaftlich gut untersucht ist, gibt es zu regionalen und globalen Perspektiven in Asien bisher nur wenig Forschung.[xvi]
Kinderarbeit in den Ziegeleien
Um die Schulden zu begleichen, ist oft die Arbeit der ganzen Familie, inklusive der Kinder, nötig.[xvii]
Genaue Zahlen der arbeitenden Kinder in der Ziegelindustrie gibt es nicht, denn Erhebungen sind schwierig. Die ILO haben die Anzahl von arbeitenden Kindern in der Ziegelindustrie im Jahr 2014 weltweit auf etwa 3,3 Millionen geschätzt.[xviii] Aufgrund des prognostizierten anhaltenden Bevölkerungs- und dem damit verbundenen Städtewachstum, ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl stark gesunken ist.[xix] Die Familien wohnen während der Ziegelsaison in provisorischen Hütten auf oder direkt neben dem Ziegeleigelände. Die Ziegeleien befinden sich größtenteils in abgelegenen Gebieten und sind nicht an die Infrastrukturen der umliegenden Städte angeschlossen. Der Schulbesuch ist für die Kinder daher nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. [xx]
In den Ziegelfabriken wird bis zu 16 Stunden pro Tag gearbeitet. Folge der schweren körperlichen Arbeit sind gesundheitliche Probleme. Die Arbeitenden leiden an Atemwegserkrankungen aufgrund des hohen Staub- und Abgasaufkommens sowie Rückenproblemen aufgrund der Dauerbelastung. Meist fehlt es außerdem an Sicherheitsvorkehrungen sowie ausreichende hygienische und medizinische Versorgung.[xxi]
Im Jahr 1999 wurden die schlimmsten Formen der Kinderarbeit in der ILO-Konvention Nr. 182 definiert und unter Verbot gestellt. Darunter fallen auch alle Formen der Sklaverei oder der Sklaverei ähnliche Verhältnisse, Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft.[xxii] Die Konvention ist seit 2020 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ratifiziert worden.[xxiii] Darüber hinaus gibt es in Südasien auch nationalen Gesetze gegen Kinderarbeit, Schuldknechtschaft und Ausbeutung. In der Praxis werden die Vorschriften jedoch umgangen und die Vergehen nicht ausreichend verfolgt.[xxiv]
Bildung ermöglichen und Bewusstsein schaffen
Hauptgrund für die Arbeit von Kindern sind prekäre Lebensverhältnisse und Armut der Familien.[xxv] Kinderarbeit erscheint den Familien unumgänglich, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Hinzu kommt das Fehlen von Alternativen, wie erreichbarer Schulbildung.[xxvi] Kinderarbeit ist jedoch nicht nur Folge von extremer Armut, sie verfestigt diese auch.[xxvii] Ein wichtiger Faktor, um den Kreislauf von Armut und Ausbeutung zu durchbrechen, ist Bildung und das Aufzeigen von alternativen Arbeitsmöglichkeiten.[xxviii]
Humanitäre Organisationen führen bereits Bildungsprojekte in den betroffenen Ländern durch. In Indien hat terre des hommes beispielsweise eine Abendschule auf einer Ziegelei eingerichtet, die die Kinder auf einen regulären Schulbesuch vorbereitet.[xxix] In Pakistan engagiert sich die Organisation Society for the Protection of the Rights of the Child (SPARC) aktiv gegen Schuldknechtschaft und für Rechte, Gesundheitsversorgung und Bildungsmöglichkeiten der Arbeitenden in der Ziegelindustrie. Bisher arbeitet die Organisation auf 120 Ziegeleien.[xxx] Zwar ist die weltweite Kinderarbeit in den letzten Jahren zurückgegangen, trotzdem ist sie für Millionen von Kindern bis heute Alltag.[xxxi]
