Mauerwerk

Reduzierung auf einen dekorativen Zweck?

Ziegel finden Anwendung in aufwändig gestalteten Fassaden, wie auch im konstruktiven Bereich. Hat Mauerwerk aus Ziegeln langfristig noch eine Chance im essenziellen Bauen, dem Machen von Häusern? Oder wird das Baumaterial mehr und mehr auf dekorative Zwecke reduziert? Diesen und weiteren Fragen gingen die Kollegen der DBZ-Redaktion mit Axel Frühauf von meck architekten, München, in einem Gespräch für den DBZ-Podcast auf den Grund.

Stein auf Stein, gemauert zur Qualität: Kann man damit heute noch werben?

Axel Frühauf (AF): Ja, ich denke schon. Ich erinnere mich an ein Wohnungsbauprojekt, das wir von einer Stahlbeton ineine Ziegelkonstruktion umplanen mussten. Die Konstruktion sollte rot sein. Man sieht daran, dass Käufer oder Bauherrn durchaus eine starke emotionale Bindung an den Ziegel haben. Die Vertrautheit mit dieser Konstruktion ist so stark, dass dafür mitunter auch höhere Kosten in Kauf genommen werden. Die Entscheidung für das Mauerwerk ist oft nicht nur technisch, sondern auch emotional bedingt.

„Wo zeigen sich Können und Fertigkeit von Architekten und Handwerkern deutlicher, als beim Mauerwerk?“

Wenn man in die Geschichte zurückblickt, scheint irgendwie schon immer mit Ziegel gebaut worden zu sein. Hat man als Architekt im 21. Jahrhundert nicht das Gefühl, es muss mal was Neues kommen? Brauchen wir den Ziegel noch?

AF: Zunächst einmal: Man muss nicht immer alles neu erfinden. Es gibt historisch bedingt profundes Wissen über das Bauen mit Mauerwerkskonstruktionen. Im Grunde geht es dabei um eines der Hauptthemen in der Architektur, dem Fügen von Baustoffen. Wo wird das augenscheinlicher als bei einer Mauerwerkskonstruktion? Wo zeigen sich Können und Fertigkeit von Architekten und Handwerkern deutlicher, als beim Mauerwerk?

Manche Architekten haben für ihre Ziegelfassaden inzwischen ganze Module entwickelt, die als Verbund vor tragende Wände gehängt werden. Darf man das?

AF: Selbstverständlich darf man das. Wobei man hier differenzieren muss zwischen dem Erscheinen lassen der Oberfläche und der tragenden Konstruktion. Man kann darüber diskutieren, ob das Fügen mit Fertigteilen auch eine Art der Mauerwerkskonstruktion mit übergroßen Formaten ist. Aber da gibt es dann natürlich einen Maßstabssprung vom einzelnen Stein zum Element zum Bauwerk.

Welche Steine mit welchem Charakter kommen für zeitgemäßes Bauen in Frage?

AF: Ich denke, es gibt zwei Gruppen von Mauersteinen, die man gliedern kann. Zum einen, wenn der Stein wirklich als baukonstruktives, strukturprägendes Baumaterial samt seiner Fügung verwendet wird. Zum anderen, wenn der Stein der Bekleidung des Gebäudes dient. Wir versuchen in unserer Arbeit die vielen verschiedenen Möglichkeiten, die sich dabei bieten, projektspezifisch auszutarieren. Das hat etwas mit dem Ort zu tun, mit den Menschen, für die wir bauen, aber auch mit der Kultur, in der wir bauen, natürlich auch mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Beim Bekleiden eines Gebäudes gibt es wenige Grenzen, da ist das Feld sehr weit. Wenn wir hingegen vom tragenden, strukturprägenden Element des Mauerwerks sprechen, sind wir schnell beim Ziegel. Der Ziegel ist fast ein Alleskönner unter den Mauerwerksbaustoffen, was seine bauphysikalischen Eigenschaften anbelangt.

Hat die Industrie schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft, oder muss noch ein neuer Stein erfunden werden? Sind Sie da schon einmal an Grenzen gestoßen, Stichworte Forschung und Entwicklung?

AF: Das Verwenden und Fügen von Baustoffen ist immer ein Stück weit Forschung und Optimierung. Letzten Endes treibt uns das ja an: Wir wollen die jeweils beste Lösung finden, das ist ein Prozess des Suchens, des Entwerfens, aber auch des Verwerfens. Es gab immer wieder Projekte, wo wir Ziegel mit den Herstellern entwickelt haben, die es so auf dem Markt noch nicht gab. Da wird mit dem Scherben, mit dem Brand experimentiert, beispielsweise mit dem Ringofenbrand, bis der Stein die Form, Farbe und Textur hat, die wir uns für die jeweilige Bauaufgabe vorstellen. Beispielsweise für unser Projekt Kirchenzentrum St. Nikolaus Neuried. Die Fassade des Kirchenzentrums lebt von der bewegten Oberfläche dieses individuell entwickelten Ziegels, von dem großen Anteil bewusst deformierter Steine.

„Der Ziegel bring den menschlichen Maßstab in ein Haus.”

Was halten Sie denn von der Digitalisierung auf der Baustelle, beispielsweise wenn Drohnen Mauerwerk fügen?

AF: Ich finde es etwas befremdlich. Häuser werden von Menschen für Menschen gebaut. In dem Entstehungsprozess eines Hauses steckt sehr viel „guter Geist“ für das Haus, wenn Menschen bauen. Das ist ja auch die Faszination am Ziegel, dass er letztlich der menschlichen Hand entspringt. Er hat das Format, das man mit einer Hand gut greifen kann, was man vermauern kann. Der Ziegel bringt den menschlichen Maßstab in ein Haus. Natürlich gibt es die Entwicklung zur Digitalisierung, aber dann werden die Konstruktionen künftig anders aussehen als das, was wir bislang unter Mauerwerk verstehen.

Das Mauern ist zwar eine traditionelle Handwerkskunst, dennoch gehen die Kenntnisse im Handwerk mehr und mehr zurück, immer mehr ungelernte Arbeiter arbeiten auf den Baustellen. Lassen sich manche Mauerwerksarbeiten nicht mehr ausführen?

AF: Der Markt hat sich in den letzten Jahren weg entwickelt vom handgemachten Haus hin zu vorgefertigten, elementierten Bauweisen. Das führt zwangsläufig dazu, dass es immer weniger Menschen gibt, die das Maurerhandwerk beherrschen. Jedes Mauerwerk trägt die Handschrift des Maurers, welche Steine werden ausgewählt, wie werden sie miteinander kombiniert. Das ist uns bei unseren Projekten sehr wichtig zu wissen, mit welchem Team wir arbeiten können. Man sieht die gemauerte Qualität. Ja, diese Handwerkskunst geht ein Stück weit verloren. Umso mehr bemühen wir uns, diese Kultur des Bauens zu erhalten, auch wenn es schwieriger geworden ist.

„Was ich sehr schätze, ist die Ehrlichkeit einer Wand, wenn sie hält, was sie verspricht. Das ist etwas sehr Beruhigendes.”

Mauerwerk assoziieren wir oft mit Haptik, Echtheit, Schwere, Schutz und Solidität. Ist das sentimental?

AF: Der Wunsch nach Solidität, Ehrlichkeit, nach Schutz, insbesondere beim Wohnen, ist sehr menschlich, finde ich. Sentimental wird es nur dann, wenn sich das Bauen vom Kontext löst, vom Ort des Bauens. Was ich sehr schätze, ist die Ehrlichkeit einer Wand, wenn sie hält, was sie verspricht. Das ist etwas sehr Beruhigendes.

Sollte man Mauerwerk sichtbar lassen, sozusagen Sichtmauerwerk produzieren?

AF: Auch aufgrund bauphysikalischer und baurechtlicher Rahmenbedingungen können wir sichtbares Mauerwerk nicht mehr so bauen, wie früher mit Vollsteinen. Wir haben die Ganzheitlichkeit der Wand aufgelöst in verschiedene Einzelaspekte, die eine volumetrisch aufgeblasene Wandkonstruktion erfordern mit einer sehr großen Wanddicke. Oft fehlt dafür die Fläche, gerade im Wohnungsbau. Das ist ein sehr spannendes Thema. Wir versuchen immer wieder, Projekte mit Vollsteinen monolithisch zu planen, leider konnten wir noch kein Projekt realisieren. Was wir natürlich schon öfter gebaut haben, ist die monolithische Bauweise mit Hochloch oder Wärmedämmziegeln.

Arbeiten Sie mit recyceltem Material, also beispielsweise mit recycelten Ziegeln?

AF: Bisher noch nicht, aber grundsätzlich, meine ich, hat das Mauerwerk genau diese Stärke in der Wiederverwendung, wahrscheinlich besser als jeder andere Baustoff. Wobei es sicher nicht ganz einfach ist, heutzutage die verschiedenen, oft miteinander verklebten Schichten sortenrein zu trennen. Früher, als es die ganzheitlichen Wände gab, nur bestehend aus Stein und Mörtel, da war das sicher noch einfacher. Als Münchner Architekt stößt man bei diesem Thema unweigerlich auf Hans Döllgast und seine Nachkriegsbauten wie die Alte Pinakothek, in denen Trümmerziegel verwendet wurden.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Ist irgendwann Schluss mit Mauerwerk?

AF: So lange Menschen mitwirken bei der Entstehung von Bauten, denke ich, bleibt uns das Mauerwerk erhalten. Schwierig wird es, wenn sich Innovationen vom Ort der Entstehung lösen, wenn Baustoffe wo anders entstehen und erst auf weiten Wegen zur Baustelle transportiert werden müssen. Gerade im Corona-Jahr 2020 aber hat diesbezüglich eine gewisse Bewusstseinsbildung stattgefunden, wie man denn heute leben und somit auch bauen will. Wenn wir uns auf Regionalität verständigen, wird es dort, wo traditionell mit Mauerwerk gebaut wurde, auch weiter Mauerwerk geben, davon bin ich überzeugt.

Herr Frühauf, wir bedanken uns für das Gespräch!

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Alle vierzehn Tage bespricht die Redaktion der DBZ-Deutsche Bauzeitschrift im Podcast relevante Fragen der Architektur, der Bautechnik und der Baupraxis und lädt Planer und Bauausführende ein, mitzudiskutieren.

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