“Architektur anders denken”

Klinkerseminar von Hagemeister zur spannungsreichen Zukunft des Bauens

Wie lassen sich die wachsenden Ansprüche aus ökologischer, technischer und ökonomischer Sicht mit den Ansprüchen von Baukultur und Ästhetik in zukunftssichere Architektur übersetzen? Dieses Thema stand auf dem diesjährigen Klinkerseminar von Hagemeister am 14. und 15. März 2023 unter dem Titel „Architektur anders denken“ auf der Agenda.

Eine Ludwig-van-Beethoven-Statue als Inspiration für eine Klinkerfassade? Das war der Ausgngspunkt der beiden Referenten Martin Behet und Roland Bondzio vom Büro behet bondzio lin architekten für ihr preisgekröntes Projekt in Münster. „Wie ein Tuch im Wind wehend“ sollte die Gebäudehülle der neuen Geschäftsstelle des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie erscheinen. Mit dem Material Klinker entstand ein raffiniertes Licht- und Schattenspiel, das einer textilen Beschaffenheit gleicht. In ihrem Vortrag „Parametrisches Design und traditionelles Handwerk“ zeigten sie an zwei Beispielen, wie modernes und herkömmliches Entwerfen miteinander einhergehen. Für die geplante Wirkung auf der Fassade half vorab ein parametrisches Computerprogramm zur Errechnung eines Modells.

Lebensraum schaffen

In ihrem Vortrag „Germany – What’s next“ erläuterte Christine Sohar, Associate beim internationalen Büro MVRDV, wie die Stadt der Zukunft mit einer sinnvollen Nachverdichtung aussehen kann. Im ersten Teil ihres Vortrags ging sie auf eine aktuelle Siedlungsentwicklung in Franklin, Mannheim mit 124 Einfamilienhäusern und 26 Wohnungen, die zukünftig ein bezahlbares und autofreies Quartier bilden soll, ein. Im zweiten Teil erläuterte die Referentin, ausgehend von der Fuggerei, der ältesten bestehenden Sozialsiedlung der Welt, wie die „Fuggerei der Zukunft“ aussehen könnte. Dazu entwickelte ihr Büro ein Baukastensystem für die Städtebauentwicklung, um die Qualität und Nachhaltigkeit der Fuggerei in der Zukunft an verschiedenen Standorten umzusetzen. Erste Projekte gibt es bereits in Deutschland und anderen Teilen der Welt, z. B. in Sierra Leone.

Die Stadt von morgen

Wie kann intelligenter, klimafreundlicher Städtebau zukünftig aussehen? Das erörterte Prof. Dr. Jürgen P. Kropp vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung in seinem Vortrag „Stadt im Klimawandel: Perspektiven und Lösungen für das 21. Jahrhundert.“ Nachhaltigkeit muss in einer Stadt so gestaltet werden, dass sie ihren Beitrag zur Lösung von Klima- und Umweltfragen leistet. Eine kompakte Bebauung bedeutet Stauwärme im Sommer, eine Auflockerung der Städte hingegen größere Entfernungen und mehr Individualverkehr – und damit noch mehr CO2- Ausstoß. Das ist ein typischer Zielkonflikt. Lösungen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. „Wir könnten zum Beispiel auch in weitläufigeren Siedlungen leben, wenn wir effiziente und nicht fossil basierte Transportmöglichkeiten schaffen oder innovative Ideen für Wohnen und Arbeiten entwickeln.“ Kropp betonte, dass naturbasierte Baustoffe, eine nachhaltige Energienutzung und viel Grün in die Städteplanung integriert werden müssen. Zudem wird das Thema Zirkularität in Zukunft eine große Rolle spielen. „Wir müssen Ressourcen dort nutzen, wo sie lokal produziert und nachhaltig verwendet werden können.“

Konsequenter Weiterbau

„Man braucht Mut, alte Dinge zu retten, um sie frisch zu nutzen“, weiß der letzte Redner, freier Architekt und Journalist Stefan Rethfeld aus Münster. In seinem Vortrag „Mein Haus ist viele Häuser – Über die alte und neue Kultur des Weiterbauens“ ging er auf eine Zeitreise. In vielen Städten werden immer noch unzählige Gebäude abgerissen: von Bauwerken der Gründerzeit und der 1920er-Jahre über Gebäude des Wiederaufbaus bis hin zu Objekten aus den 90er-Jahren. Einzelne Häuser und ganze Stadtviertel sind teils verschwunden. Anhand von zahlreichen Praxisbeispielen zeigte er auf, wie Weiterbau funktionieren kann. Mit einem neuen Bewusstsein für den Bestand kann dieser sinnvoll ergänzt werden und damit weiterleben. Mit Münsters prominentester und momentan stark diskutierter Umnutzungs-Aufgabe, der historischen JVA im Stadtzentrum, richtete Rethfeld zum Abschluss einen bedeutsamen Weiterbau-Appell an das Architektur-Plenum.

„Im Vorfeld zum Seminar sprachen wir in einem Austausch mit dem BDA Münster-Münsterland darüber, mit welchen Materialien und Konstruktionsweisen man in Zukunft Architektur gestalten kann. Es sind aktuell viele Anforderungen zu erfüllen, von ökonomischen über ökologischen bis hin zu baukulturellen Faktoren. Es gibt ein großes Spannungsfeld, in der sich die Architektur heute bewegt. Diesem Thema wollten wir mit dem Seminar mehr Raum geben“, erläutert Geschäftsführerin Dr. Christina Hagemeister die Relevanz der Fragestellung und ergänzt: „Es ist schön, dass das Seminar endlich wieder in Präsenz stattfinden konnte und großen Anklang bei den zahlreichen Besuchern fand. Für uns als Veranstalter ist dies das größte Lob.“

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