Das Staatliche Bauhaus in Weimar und das Haus am Horn (Teil 1)
2019 wurde in Deutschland das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum groß gefeiert. Dieses Ereignis mit internationaler Strahlkraft war Anlass, sich das 1923 gebaute Musterhaus des Bauhauses, das Haus „Am Horn“ in Weimar, aus Sicht der Ziegelindustrie zu betrachten. Lesen Sie hier Teil 1.
Einleitung
„Staatliches Bauhaus“ nannte der Architekt Walter Gropius (1883-1969) eine neuartige Kunstschule, die er am 1. April 1919 in Weimar gründete. „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst“, schrieb Gropius im Gründungsmanifest des Bauhauses. 1925 wurde der Standort nach Dessau verlegt, 1932 nach Berlin und am 19. Juli 1933 wurde das Bauhaus unter dem Druck der Nationalsozialisten aufgelöst. Trotz ihres kurzen Bestehens von nur 14 Jahren prägte die Kunstschule das Design und die Architektur des 20. Jahrhunderts maßgeblich. Mit ihr verbindet man vor allem schnörkellose, in Form und Farbe reduzierte Architektur, schlichte und elegante Funktionalität sowie klares und scheinbar zeitlos modernes Design.
Das Haus „Am Horn“ in Weimar
Anlass zum Bau dieses Musterhauses, eine Art Atriumhaus für eine drei bis vierköpfige Familie nach einem Entwurf von Georg Muche, war die erste Bauhaus-Ausstellung vom 15. August bis 30. September 1923.
Das Haus sollte eine mögliche Antwort auf die damals herrschende Wohnungsnot bieten. Die Grundüberlegungen dazu waren der Einsatz einer modularen, kostengünstigen Bauweise, ein nutzungsorientierter Grundriss und Wohnkomfort durch moderne Technologie. Das Musterhaus ist das einzige in Weimar fertiggestellte Zeugnis des Staatlichen Bauhauses. 1996 wurde es als Teil des Bauhauses und seiner Wirkungsstätten von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Verantwortlicher Bauherr war Walter Gropius selbst, die Bauausführung übernahm die Soziale Bauhütte Weimar. Nachdem Anfragen bei US-amerikanischen Industriellen und der Stadt Weimar erfolglos geblieben waren, wurde das Bauvorhaben durch den Industriellen Adolf Sommerfeld finanziert. Für ihn hatte Gropius 1920/21 in Berlin-Lichterfelde das Haus Sommerfeld entworfen. Viele der beauftragten Unternehmen arbeiteten zum Selbstkostenpreis, konnten dabei aber ihre Materialien werbewirksam einsetzen.
Das Haus am Horn war eindeutig als Bauvorlage gedacht, daran lassen die wechselweise verwendeten Bezeichnungen „Musterhaus“, „Typenhaus“ oder „Versuchshaus“ keinen Zweifel. Auf eine erste Publikation des Musterhauses in Velhagen & Klasings Monatsheften aus dem Jahre 1923 hatten sich insgesamt 39 Interessenten „für gleiche oder ähnliche Objekte“ gemeldet. So wurde zum Beispiel einem Interessenten aus Wien, J. Platzer, geantwortet, dass man bereit sei, ihm die Pläne, Baubeschreibung und andere notwendige Unterlagen des Versuchshauses gegen eine Berechnung der Gebühren nach den hierfür geltenden Bestimmungen der Gebührenordnung für Architekten und Ingenieure abzugeben.
Wie viele Bauvorlagen verkauft wurden und wie viele Häuser danach auch tatsächlich gebaut wurden, weiß man heute nicht mehr. Auf jeden Fall hat das berühmte Haus am Horn in der kleinen Gemeinde Burbach im Siegerland eine ungleiche Zwillingsschwester: das Landhaus Ilse. Im Auftrag von Ingenieur Willi Grobleben, technischer Direktor der Westerwald-Brüche AG (WAG), wurde es im Sommer 1924 errichtet. Das nach der Tochter des Besitzers benannte Landhaus diente zunächst als Gästehaus für das Unternehmen und wurde einige Jahre später als Wohnsitz für die Familie Grobleben verwendet. Der Architekt des Hauses ist leider nicht überliefert. Ma geht aber davon aus, dass er das Haus am Horn oder zumindest die Pläne davon gekannt haben muss, denn die beiden Häuser in Weimar und Burbach ähneln sich im Grundriss. Ob für den Bau des Landhauses Ilse entsprechende Unterlagen oder Plansätze zum Haus am Horn vom Staatlichen Bauhaus angekauft wurden, ist nicht bekannt. Es ist aber auch möglich, dass Grobleben 1923 eine Reise ins 290 km entfernte Weimar unternommen und sich das Haus am Horn persönlich angeschaut hat.
Das heute unter Denkmalschutz stehende Landhaus Ilse befindet sich seit 2017 im Besitz der Gemeinde Burbach und wurde – genau wie das Haus am Horn in Weimar – wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Baukonstruktion und ihre Baustoffe
Die Bauzeit des Einfamilienhauses am Horn betrug vier Monate (April bis August 1923) und fiel in die Inflationszeit. Die Wahl der Baustoffe und der Baukonstruktion war aus diesem Grund nicht unbegrenzt frei. Das es dennoch gelang, einen dem Stand der Bautechnik gemäßen Bau zu errichten, war hauptsächlich der verständnisbereiten Mitarbeit der beteiligten Industrien zu verdanken.
Bei der Wahl der Baustoffe und der Baukonstruktionen wurden solche bevorzugt, die einem neuen, synthetischen Baugedanken entgegenkommen. Ersatzbauweisen waren bewusst ausgeschaltet, dagegen wurde Wert auf Übereinstimmung von Material und Konstruktion gelegt, um einen über die damalige ökonomische Gebundenheit hinaus möglichen Weg nach vorne aufzuzeigen.
Nachfolgend sollen die Wand- und Deckenkonstruktion sowie die verwendeten Bauprodukte näher betrachtet und mit heutigen Ziegelbauweisen vergleichen werden. Einen Schwerpunkt bildet der Wärmeschutz der Außenwand, da damals immer mit dem Vergleich zum Ziegelmauerwerk gearbeitet wurde.
Außenwände
Für den Wand- und Deckenaufbau wurden vorgefertigte Leichtbausteine aus zementgebundenem Schlackenbeton (Mischungsverhältnis 1:12), sogenannte Jurko-Platten (Abkürzung für J. und R. Koppe), verwendet.
Die Brüder Johannes und Robert Koppe, beide haben eine Maurerlehre absolviert, führten gemeinsam ein „kunstgewerbliches Atelier“ in Leipzig und entwickelten Ende der 1910er Jahre diese Art von Mauersteinen und die zugehörige Bauweise.
Diese bestand darin, dass zwei Wandschalen aus abwechselnd vertikal gestellten und waagrecht gelegten Schlackenbetonsteinen zu einer Wand mit abgeschlossenen Lufträumen verbunden wurde. Bei einer so hergestellten 32 cm dicken Hohlwand berechneten sich die Erfinder gegenüber einer 38 cm dicken Vollziegelwand eine Kostenersparnis von 50 bis 60 Prozent (weniger Kohle, Transport und Mörtel) und eine Gewichtsersparnis von 70 Prozent. 1916 wurde dieses System auf der Ausstellung „Sparsame Baustoffe“ in Berlin präsentiert.
Die zweischaligen Außenwände beim Haus am Horn stellen eine Weiterentwicklung der von den Brüdern Koppe in Leipzig vorgeschlagenen „Sparbauweise“ aus abwechselnd liegenden und stehenden Platten dar. Um die Dämmschicht aus Torfoleum ohne Unterbrechung einzulegen, wurden die notwendigen Binderschichten zwischen den Jurko-Plattten durch verzinkte Drahtanker in jeder Fuge ersetzt. Eine Binderschicht wurde nur unter dem Auflager der Erdgeschoßdecke angeordnet.
Die doppelt gesetzten Wandplatten mit dazwischenliegenden Torfoleum-Dämmplatten brachten wesentliche Ersparnisse gegenüber einer Ziegelmauer aus Normalformat-Steinen (altes Reichsformat, l/b/h = 250/120/65 mm): hinsichtlich Material-, Transport- und Lohnkosten, bebauter Fläche und Heizwärmebedarf.
Neben dem Haus am Horn und den Dessauer Meisterhäusern wurden die Jurko-Platten in vielen ikonischen Gebäuden der klassischen Moderne als Außenwandkonstruktion eingesetzt.
Der Herstellung der Jurko-Platten für das Musterhaus erfolgte durch den Verband sozialer Baubetriebe GmbH Berlin im Werk Nordhausen.
Frick/Knöll: „Die Platten sind sehr handlich und lassen sich leicht behauen. Die Ausführung ist daher schnell und billig. Die Platten sind nagelbar und wärmetechnisch erstklassig; der Putz haftet sehr gut. In statischer Hinsicht ist das Mauerwerk für den Kleinhausbau geeignet.“
Als Vorteile gegenüber einem Ziegelmauerwerk aus Normalformatsteinen wurden folgende Ersparnisse hervorgehoben:
an Kohle: weil nicht gebrannt
an Mörtel: weil wenig Fugen
an Transportkosten: weil geringes Eigengewicht
an bebauter Fläche: weil geringe Wandstärke
an Arbeitslöhnen: weil großes Format
Diese Vorteile der Jurko-Platten-Wandkonstruktion haben sich heute wieder aufgehoben bzw. umgedreht. Vor allem beim Mörtelbedarf (plangeschliffene Lagerfugen und Nut-Feder-Ausbildung der Stoßfugen) und den Lohnkosten (großformatige Hochlochziegel) punkten die modernen Planziegel gegenüber den Betonsteinen. Bei der Verwendung von Hochlochziegeln mit integrierter Wärmedämmung dreht sich auch der Vorteil der geringen Wandstärke. Und es ist schon richtig, dass die Betonsteine nicht gebrannt werden müssen, aber für die Zementherstellung wird ebenfalls Energie benötigt.
Zement
Zement wurde als Bestandteil und Verbindungsmittel der meisten Rohbaukonstruktionen verwendet, von der Fundamentsohle bis zur Schornsteinabdeckung, als Bestandteil der „Jurko-Steine“, des Mauermörtels, der Kunststeinarbeiten, des Aussen- und Innenputzes von Terranova und der Asbestschieferplatten (Fensterbänke).
Lieferant des Zementes war die Deutsche Zementbund GmbH durch die sächsisch-thüringische Portland-Zement-Fabrik Prüssing & Co KG auf Aktien in Göschwitz an der Saale (seit 1969 Ortsteil von Jena).
Dämmung
Als Wämedämmung der Fußböden, Wände und Decken wurden Torfoleum-Leichtplatten verwendet.
Im Jahre 1914 gründete Dr. Eduard Dyckerhoff, ein Enkel des Gründers der Dyckerhoff-Portland-Zementwerke, am Standort Poggenhagen, Provinz Hannover, die „Torfoleum GmbH“. Die Verwendung des Rohstoffs Torf für neue Produkte wurde erprobt und erstmals Torfplatten als Wärmedämmung für Bauzwecke hergestellt. Sie wurden in Stärken von 3 bis 20 cm geliefert. Stärken über 5 cm wurden aus mehreren, mittels Kittmasse maschinell in ganzer Fläche miteinander verklebten, schwächeren Platten gewonnen. Das Raumgewicht betrug 160 bis 200 kg/m³. Die Wärmeleitfähigkeit bei 0°C und einer Rohdichte von 162,5 kg/m³ wurde mit 0,0335 kcal/mh°C gemessen. Unter Berücksichtigung von Schwankungen bei der Rohdichte und der Prüfergebnisse wurde eine Wärmeleitfähigkeit von 0,040 kcal/mh°C (0,047 W/mK) deklariert.
Die Torfoleum-Leichtplatten bestehen in erster Linie aus gepresstem Torf, enthalten aber keine Stoffe, die in Fäulnis übergehen können. Um sie bruchfester zu gestalten, wurden ihnen Kokosfasern zugesetzt. Das Material enthält eine Kernimprägnierung zum Schutz gegen Wasseraufsaugen. Auch gegen Entflammung sind die Platten sicher imprägniert.
Die Lieferung der der Torfoleum-Platten für das Musterhaus erfolgten durch die Torfoleum-Werke Eduard Dyckerhoff, Poppenhagen 50 bei Neustadt am Rübenberge. Die Plattengrößen betrugen l / b = 0,50 / 1,0 m mit Stärken von 2 bis 5 cm.
Torf reagiert aber, wie alle organischen Dämmstoffe, relativ empfindlich in Hinblick auf Feuchtigkeit. Bei der Renovierung von Häusern aus den 1920er Jahren stieß man immer wieder auf Torfoleum-Platten, die durch den Einfluss von Feuchtigkeit zersetzt waren. Auch beim Bauhausgebäude in Dessau wurde Torfoleum als Dämmmaterial eingesetzt und das erwies sich zum Teil problematisch: Über der Aula musste es entfernt werden, da es hier in den Saal hineintropfte. Auch auf einer Dachfläche des Meisterhauses Kandinsky-Klee (erbaut 1925/26) wurde bei den Sanierungsarbeiten 2017-19 stark durchfeuchtetes Torfoleum vorgefunden, das aus bauphysikalischer Sicht nicht auf dem Dach belassen werden konnte.